Die oben angeführte Refutation (sic!), in welcher der Autor die überlieferte Modus- und Hexachordlehre gegen Matthesons Angriffe verteidigt, gilt heute immer noch – oberflächlich missverstanden – als eine Abhandlung über Dreiklänge, im Frontispiz veranschaulicht durch die Silben ut – mi – sol (für Dur) und re – fa – la (für Moll). Diese Interpretation ist nicht falsch, aber:
Dreiklänge mussten um 1716 nicht in einer Kampfschrift (sic!) verteidigt werden, da sie ja von niemandem »angegriffen« oder in Frage gestellt wurden – am allerwenigsten von Mattheson. Buttstett verteidigt hier etwas anderes.
Pointiert formuliert: in diesem Traktakt geht es nach eingehender Prüfung in der Hauptsache um alles, nur um Dreiklänge nicht. Dreiklänge werden ausschließlich im Zusammenhang mit dem Hexachordsystem erwähnt und abgehandelt, was aus unserer heutigen Sicht jedoch bemerkenswert ist, sind wir doch gewohnt, das »modale« Hexachordsystem und die Dur-Moll-Tonalität feinsäuberlich von einander zu trennen.
Dass es aber innerhalb des reinen Hexachordsystems (das heißt: abgekoppelt von der Moduslehre) mittlerweile zu einem »Dur-Moll-Bewußtsein« gekommen war, beweist unter anderem auch die Symbolik des Frontispiz. Zwei ineinander verschränkte Dreiecke (ut – mi – sol und re – fa – la ) ergeben in Summe ein Hexagramm – also ein Hexachord (ut – re – mi – fa – sol – la). Das bedeutet paradoxerweise: Dur-Moll-Tonalitität innerhalb des Hexachordsystems.
Wobei noch erwähnenswert ist, dass die 12 Engel des inneren Kreises (mit jeweils wieder einem Hexagramm auf der Stirne) vermutlich die 12 Claves (Tasten) allegorisch versinnbildlichen, auf deren jeder man mittlerweile ein Hexachord errichten konnte: mit Ut = Dur oder Re = Moll.
Sechs Jahre später stellt Bach den ersten Band des »Wohltemperierten Klaviers« fertig (siehe dazu: S. 26/27).
Die (konservative) Solmisation des ionischen Modus bei Buttstett: